US-Republikaner: Die größtmögliche Bühne (2024)

Mit William Belknap möchte man nicht in eine Reihe gestellt werden. Belknap, damals Kriegsminister der Vereinigten Staaten, wurde 1876 beschuldigt, Bestechungsgelder angenommen zu haben. Das Repräsentantenhaus leitete ein Amtsenthebungsverfahren ein. Weil Belknap inzwischen zurückgetreten war, sah der Senat – der als zweite Kammer des Kongresses ebenfalls hätte zustimmen müssen – davon ab, das Ganze weiterzuverfolgen. Ein sogenanntes Impeachment gegen einen US-Minister: Das ist seitdem nie wieder vorgekommen.

Bis jetzt. Am Dienstagabend (Ortszeit) stimmte in Washington, D. C., eine knappe Mehrheit der Kongressabgeordneten alle von ihnen Republikanerfür die Einleitung eines solchen Amtsenthebungsverfahrens gegen Alejandro Mayorkas, den US-Minister für Innere Sicherheit und Heimatschutz. Mayorkas habe "vorsätzlich und systematisch gegen die bundesweit geltenden Einwanderungsgesetze verstoßen", heißt es in der offiziellen Anklageschrift des Amtsenthebungsverfahrens. "Nicht zuletzt aufgrund seines rechtswidrigen Verhaltens sind jedes Jahr Millionen von illegalen Einwanderern in die Vereinigten Staaten eingereist, von denen viele unrechtmäßig dortbleiben."

Das klingt, als sei Mayorkas nicht Politiker, sondern hauptberuflich Menschenschmuggler. Genau darum geht es den Republikanern, die das Verfahren angestrengt haben. Seitdem Joe Biden im Amt ist, beschuldigen sie dessen Regierung, eine Politik der offenen Grenzen zu betreiben. Allerdings hat Biden, der im Wahlkampf 2020 damit geworben hatte, den Umgang mit Asylsuchenden wieder menschenwürdig zu machen, die Politik seines Vorgängers Donald Trump teilweise fortgeführt.

Nur ändert das bislang nichts daran, dass die Zahl der illegalen Grenzübertritte unter Biden so hoch ist wie nie zuvor. Seine Regierung bekommt die Krise nicht in den Griff. Das nutzen die Republikaner im Wahlkampf, wo sie nur können. Und ein Amtsenthebungsverfahren gegen Mayorkas, in dessen Zuständigkeitsbereich die Grenze fällt, bietet ihnen die größtmögliche Bühne dafür.

Das Impeachment ist ein extremes Sanktionsinstrument der US-Verfassung, gedacht für ernsthafte Vergehen im Amt – wie die Korruption des Kriegsministers Belknap. Die Republikaner konstruieren ein solches Vergehen, ein strafbares Fehlverhalten, wo es eigentlich um politische Differenzen geht. Sie tun also genau das, was sie den Demokraten vorwarfen, die gegen Donald Trump zweimal ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet hatten. Gegen ihn lagen allerdings tatsächlich Dinge vor, mit denen sich ein (nachträgliches) Impeachment rechtfertigen ließ – unter anderem die Anstiftung zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021.

Selbst Republikanern nahestehende Experten verteidigen Mayorkas

Dass dies bei Mayorkas nicht der Fall ist, da sind sich selbst Experten einig, die den Republikanern nahestehen. Der Jurist Alan Dershowitz, der Trump bei dessen erstem Amtsenthebungsverfahren noch verteidigt hatte, wirft den Vertretern der Partei vor, die Verfassung zu missbrauchen: "Was auch immer Mayorkas getan haben mag oder auch nicht, er hat weder Bestechung noch Verrat oder andere schwere Verbrechen und Vergehen begangen." Michael Chertoff, Mayorkas' Vorgänger in der Regierung von George W. Bush, schreibt in einem Gastbeitrag für das konservative Wall Street Journal: "Die Republikaner im Repräsentantenhaus drücken sich vor schwieriger politischer Arbeit und hart erkämpften Kompromissen. Ein Amtsenthebungsverfahren lenkt davon ab, die kaputten Einwanderungsgesetze zu reparieren und dem Ministerium für Heimatschutz die nötigen Ressourcen zur Sicherung der Grenze zu geben."

In der Tat hätten die Republikaner im Kongress die Macht, das zu ändern, was ihnen nicht passt. Gerade haben sie sogar ungewöhnlich viel dieser Macht: In der Hoffnung, die von immer mehr Republikanern blockierten Ukraine-Hilfen auf den Weg zu bekommen, bot Biden an,im Gegenzug mehr Geld für die Grenzsicherung und sogar Einschränkungen beim Asylrecht zuzustimmen. Die Republikaner hatten die Demokraten also genau da, wo sie sie haben wollten, sollte man meinen.

Handlungswillen suggerieren, wo gar keiner ist

Aber weil Trump Bidens Einwanderungsproblem im Wahlkampf so lange wie möglich ausschlachten will, nötigte er die Fraktion der Republikaner, den Deal platzen zu lassen. Dabei hatten auch Vertreter der Republikanischen Partei die Einigung mühevoll mitverhandelt. Von der Lage an der Grenze profitiert Trump schließlich am meisten: Sie liefert ihm Material, um Angst unter den Wählern zu verbreiten und um den Demokraten nicht nur Versagen, sondern bösen Willen vorzuwerfen.

Das Impeachment-Verfahren gegen Mayorkas passt in dieses Schema. Auch unter den Republikanern gibt es einige, die es nicht nur für handwerklich schlecht, sondern politisch für gefährlichen Unsinn halten. Drei von ihnen stimmten mit den Demokraten am Dienstagabend dagegen, sodass der Antrag am Ende nur eine Stimme Mehrheit hatte. Und diese Abstimmung war bereits die zweite: Eine erste scheiterte daran, dass die Republikaner nicht genug Abgeordnete versammeln konnten. Im Senat, wohin die Anklage nun wandert, dürfte das Verfahren schon wieder ein Ende finden. Die nötige Zweidrittelmehrheit wird die Amtsenthebung dort kaum bekommen, die Demokraten sind knapp in der Mehrzahl.

Das muss den Republikanern im Repräsentantenhaus klar gewesen sein, als sie schon zu Beginn der Legislaturperiode damit begannen, das Verfahren gegen Mayorkas vorzubereiten. Aber gerade darum – Handlungswillen zu suggerieren, wo gar keiner ist – geht es ihnen mutmaßlich. Auch wenn der Minister sein Amt wohl noch eine Weile behalten wird: Die republikanische Wählerbasis, von Trump unentwegt angestachelt, nimmt das Fantasma vom Einwanderungsverbrecher Mayorkas dankbar an. Politischer Fortschritt beim Thema Grenze rückt dagegen in immer weitere Ferne.

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